Was sind Poetiken?
Poetiken befassen sich als ‚Lehren von der Dichtkunst‘ mit den Erscheinungsweisen literarischer Texte, ihren Form- und Gestaltungsgesetzen und -mitteln sowie den Prinzipien des dichterischen Schaffens – kurz: der Literatur insgesamt. Dabei überschneiden sie sich inhaltlich mit den Bereichen der Ästhetik, Rhetorik und Stilistik sowie der Literaturgeschichte und -kritik. Als ein zentrales Textkorpus der Geisteswissenschaften enthalten die ausgewählten Werke ein systematisches Basiswissen für die Literaturwissenschaft aus der Anfangszeit der wissenschaftlichen Beschreibungs-Poetik (Ende des 18. Jh.) bis zu ihrem Ende bzw. Übergang in die Literaturtheorie (Mitte des 20. Jh.). Diese Texte dokumentieren damit das Denken und Schreiben über Literatur (und andere Künste) in der zentralen Periode nach der Ausdifferenzierung des Kunstsystems.
Das untersuchte Korpus von zwanzig Poetiken ist dabei in mehrfacher Hinsicht sehr heterogen:
- Umfang: Die kürzeste Poetik umfasst ca. 50 Seiten (Joseph Körner: Einführung in die Poetik, 1949), die längste ca. 1600 Seiten (Conrad Beyer: Deutsche Poetik, 1882-84, 3 Bde.).
- Inhalt/Aufbau: Vor allem im Hinblick auf oben genannte Überschneidungen zu anderen theoretischen Gattungen wie der Ästhetik, Rhetorik/Stilistik usw., aber auch im Hinblick auf Einflüsse aus anderen Kontexten (Psychologie, Philosophie, andere Künste usw.)
- Begriffsverwendung: Auch wenn zwei Poetiken inhaltlich dieselben Themen behandeln, ist nicht gesagt, dass das Verständnis und der Gebrauch einzelner Begriffe einheitlich ist, da sich auch hier über den Untersuchungszeitraum von knapp 200 Jahren ein Wandel vollzieht.